Sie fühlte mehr als sie sah, wie die Hand sich
näherte. Sie spürte sie an ihrem Hals und war im Begriff, sich ihm lächelnd
zuzuwenden, als die Hand ihre silberne Halskette packte. Sie wollte
protestieren, ihm sagen, daß er die Kette zu eng zussammenziehe, aber da war es
schon zu spät. Die Hand riß die Kette mit einem Ruck ganz eng zusammen. Sie
konnte sich nicht wehren. Sie konnte nicht einmal schreien. Sie schwamm in
rotem Nebel. Und dann wurde alles schwarz.
Die Tote ist
Anfang zwanzig, blond, hübsch. Sie war Hausangestellte, und man weiß wenig von
ihr. Nur eines stellt sich heraus: Sie war schwanger. Aber das hilft
Polizeichef Lanigan auch nicht weiter. Es gibt keinen Verdächtigen. Wer sollte
in der muffigen Ehrbarkeit der Neu England-Kleinstadt ein solches Verbrechen
begehen? Ein Mann allerdings müßte
eigentlich etwas bemerkt haben: der Rabbiner, unter dessen Fenster der Mord
geschah. ……
Harry Kemelman,
Am Freitag schlief der Rabbi lang,
Rowohlt Taschenbuch 2090
Die Serie der
'Rabbi Krimis' gehört unzweifelhaft zu den Favoriten in meiner kleinen
Hausbibliothek. Auch wenn jemand nicht eigentlich ein Fan von Kriminalromanen
ist, haben diese Fälle um den jungen Rabbi David Small ihren ganz eigenen Reiz.
Sie saßen im Betsal und warteten. Neun Männer, die
auf den zehnten warteten, um den Morgengottesdienst beginnen zu können. Jacob
Wassermann, der bejahrte Gemeindevorsteher hatte die Gebetsriemen bereits
befestigt. Der junge Rabbi David Small war gerade eingetroffen, zog den linken
Arm aus der Jacke und rollte den Hemdsärmel
bis zur Achsel hoch. Er legte die kleine schwarze Kapsel mit den
Thora-Stellen auf den linken Oberarm gegenüber dem Herzen, wickelte den einen Gebetsriemen
siebenmal um den Unterarm, dreimal um den Handteller - das bedeutet den ersten
Buchstaben vom Namen des Herrn - und schließlich um den Mittelfinger, als
Symbol für den Bund mit Gott. Nun befestigte er den zweiten Gebetsriemen mit
der Kapsel an der Stirn; zusammen mit dem ersten gilt das als buchstäbliche
Erfüllung des biblischen Gebotes: 'Und du sollst die Worte Gottes binden zum
Zeichen auf deine Hand, und sollen dir ein Denkmal vor deinem Augen sein.'
Schon sofort zu
Beginn des ersten Kapitels erfährt man, wie Mitglieder einer jüdischen Gemeinde
sich zum Morgengottesdienst versammeln. Man erfährt weiterhin, dass die
Versammlung aus neun Männern besteht, die auf einen zehnten warten. Zehn, warum
zehn?
Zehn, weil für
den jüdischen Gemeindegottesdienst mindestens zehn im religiösen Sinne
erwachsene jüdische Personen nötig sind. Dieses Quorum heißt
„Minjan“. Im orthodoxen Judentum zählen nur Männer zum Minjan; im
nichtorthodoxen Judentum auch Frauen.
In
der Mischna kann man lesen ((Megilla 4,3)), dass man einen Minjan (מנין)
benötigt, also mindestens zehn erwachsene Juden, um aus der Torah lesen oder
das Schmoneh Essre öffentlich sprechen zu können.
Aus
<https://www.talmud.de/tlmd/minjan/>
Auch wird
erklärt, wie jeder der Beter sich persönlich auf den Gottesdienst vorbereiten
soll, indem er sich die vorgeschriebenen Gebetsriemen anlegt, an denen kleine
Kapseln befestigt sind, die Textstellen aus der Tora enthalten, zum Beispiel
das 'Schema Israel', ein jüdisches Glaubensbekenntnis: 'Höre Israel, der Herr,
dein Gott ist ein einziger Gott' (nach Dtn 6,4–9) und es wird außerdem die
Erklärung für diese Vorschrift mitgeteilt.
(c) des Bildes hjt
So hat man hier
nicht nur einen unterhaltsamen, sprich spannenden Krimi vor sich, sondern
erfährt so ganz nebenbei auch noch viel Interessantes über das Leben unserer
jüdischen Mitmenschen, ein Wissen, das sicherlich hilfreicher sein kann
antisemitischen Einstellungen in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken als
staatlich verordnete political correctness!
Harry Kemelman,
der Autor,
geboren 1908 in
Boston, starb im Januar 1997. Er hatte bereits einige Kurzgeschichten
veröffentlicht, als er diesen seinen ersten Kriminalroman schrieb, für den er
den Edgar Allan Poe Award erhielt.
In der Rabbi
Reihe sind weiterhin erschienen:
Am Samstag aß
der Rabbi nichts (Rowohlt tb 2125)
Am Sonntag blieb
der Rabbi weg (Rowohlt tb 2291)
Am Montag flog
der Rabbi ab (Rowohlt tb 2304)
Am Dienstag sah
der Rabbi rot (Rowohlt tb 2346)
Am Mittwoch wird
der Rabbi naß (Rowohlt tb 2430)
Der Rabbi schoß
am Donnerstag (Rowohlt tb 2500)
Eines Tages geht
der Rabbi (Rowohlt tb 2720)
Ein Kreuz für
den Rabbi (Rowohlt tb 2860)
Ein neuer Job
für den Rabbi (Rowohlt tb 3120)
Als der Rabbi
die Stadt verließ (Rowohlt tb 3253)